Wunderwerk Muttermilch
Muttermilch zählt zu den Wunderwerken der Natur: Tagesaktuell passt sie sich an die Bedürfnisse eines Babys an, bleibt dabei immer frisch und enthält sämtliche Nährstoffe, die der heranwachsende Sprössling benötigt. Die Muttermilchforschung ist ein vergleichsweise junges Forschungsfeld, aber sie fördert viele spannende Fakten zutage. Wir haben einige besonders interessante Infos in diesem Beitrag zusammengestellt.
Muttermilch: Immer frisch, immer anders
Muttermilch ist die einzige Milch, welche von der Natur spezifisch auf Menschenbabys zugeschnitten wurde. Jahrmillionen an Evolution haben unsere Vorfahren und letztlich uns als Menschen so weit gebracht, dass wir den idealen Nährstoffcocktail zur Ernährung unserer Babys zur Verfügung haben. Und das immer frisch, immer angepasst an das individuelle Stillpaar – und in einer wirklich schönen Verpackung.
Keine Muttermilch-Mahlzeit gleicht der anderen. Von Mahlzeit zu Mahlzeit und selbst während des Stillens passt die Milch sich individuell dem Kind und seinen Bedürfnissen an. Dabei wissen sowohl Ihr Körper als auch der Ihres Babys instinktiv, was gerade benötigt wird. Sie werden es an heißeren Tagen beobachten: Dann trinkt Ihr Liebling wesentlich häufiger als sonst. Gleichzeitig stellt sich die Muttermilchproduktion darauf ein, der hohe Wasseranteil in der Muttermilch sorgt für eine ausreichende Versorgung mit Flüssigkeit. Gestillte Babys benötigen selbst bei größter Hitze keine zusätzliche Flüssigkeit, solange Sie nach Bedarf anlegen.
Möglich gemacht wird dieses individuelle Justieren durch ein feines Konstrukt aus chemischen Rezeptoren bei Mutter und Kind. Diese Rezeptoren tauschen aufeinander abgestimmt Botschaften über Hunger und Durst, mögliche Krankheitskeime in der Umgebung, oder Wachstumsphasen aus. Bei jedem Hautkontakt zwischen Ihnen und Ihrem Baby werden fleißig Botschaften übermittelt. Genauer: Babys Speichel und Rezeptoren an Mamas Brustwarze sorgen dafür, dass dieser Informationsaustausch ungehindert gelingt.
Auch die Stilltipps Ihrer Hebamme zum ausgiebigen Haut-an-Haut-Kuscheln zielen auf diese Mechanismen ab. Denn intensiver Hautkontakt sorgt für die Ausschüttung der für die Milchproduktion wichtigen Hormone. Und das intensive Kuscheln sorgt zudem für eine Steigerung der wichtigen Bindungs- und Glückshormone.
Wie faszinierend vielfältig die Schutzstoffe in der Muttermilch sind, haben wir in diesem Expertengespräch für Sie aufgezeichnet.
So entsteht Muttermilch
Schon während der Schwangerschaft bereitet sich der Körper auf die Produktion von Muttermilch vor. Direkt nach der Geburt steht das Kolostrum bereit. Diese Vorstufe der Muttermilch ist
- gelblich,
- dickflüssig,
- hochkonzentriert und enthält alle wichtigen Nährstoffe für die ersten drei bis fünf Lebenstage.
Diese ersten Tropfen Kolostrum wirken vergleichsweise wenig, sind aber ideal auf den Magen von Neugeborenen abgestimmt, der nur wenige Milliliter pro Mahlzeit aufnehmen kann. Bei Bedarf kann Kolostrum per Hand oder mit einer Pumpe gewonnen werden.
Mit der initialen Brustdrüsenschwellung (auch: Milcheinschuss) verändert sich die Muttermilch. Die Übergangsmilch wirkt dünnflüssiger und heller als das Kolostrum. Die Zusammensetzung verändert sich leicht, der Laktosegehalt sinkt und der Fettgehalt steigt leicht an.
Nach ungefähr 15 Tagen schließlich ist die Muttermilch im finalen Stadium angelangt. Bezeichnet wird sie ab jetzt als reife Frauenmilch, die Babys im ersten Lebensjahr und auch deutlich darüber hinaus optimal versorgen kann.
Im Schnitt enthält die reife Frauenmilch 75 Kilokalorien auf 100 Milliliter und besteht zu gut 87 Prozent aus Wasser! Insgesamt sind tausende unterschiedliche Bestandteile in Muttermilch nachgewiesen. Die Muttermilchforschung ist noch dabei, die Rolle einzelner Bestandteile genauer nachzuvollziehen. Was bereits bekannt ist: Ein einzelner Teelöffel voller Muttermilch enthält bis zu 3.000.000 lebende Zellen vom mütterlichen Organismus, die aktiv das Immunsystem des Säuglings unterstützen. Diese Vorteile der Muttermilch sind bislang einzigartig!
Hauptbestandteile | Verteilung der Hauptbestandteile auf 100 ml |
Wasser | 87 ml |
Proteine | 0,9 g |
Fette | 3,9 g |
Laktose | 7 g |
Wussten Sie schon, dass sich bei einer erneuten Schwangerschaft die Muttermilchproduktion automatisch auf das neue Baby einstellt? Wenn Sie schwanger sind und stillen, bemerken Sie vielleicht einen leichten bis starken Rückgang der Milchmenge. Spätestens zur Geburt startet die Muttermilchproduktion aber wie gewohnt. Der Kreislauf der Muttermilchstationen beginnt wieder beim Kolostrum, das auch das ältere Geschwisterkind trinken darf, sobald das Neugeborene satt und zufrieden ist.
Vorteile des Stillens mit Muttermilch
Muttermilch macht den Darm fit
Zahlreiche Schutzstoffe und komplexe Kohlenhydrate in der Muttermilch besiedeln direkt nach der Geburt und mit dem ersten Schluck Kolostrum den noch unreifen Darm des Babys. Muttermilch trägt dazu bei, dass Babys Verdauung optimal funktioniert – und zwar über eine umfassende, sich stetig verändernde Anzahl an Schutzstoffen und lebenden Bakterienkulturen.
Wenn Sie nicht stillen möchten, kann zumindest die Gabe von Kolostrum dabei helfen, den Darm Ihres Kindes optimal zu präparieren. Zusätzlich verändert Muttermilch den kindlichen Darm selbst einige Zeit nach der Geburt noch positiv. Das betrifft vor allem Familien, die in den ersten Lebenstagen oder -wochen zunächst auf Muttermilchersatznahrung angewiesen waren und zugefüttert haben. Die Milchsäurekulturen und lebenden Zellen aus der Muttermilch sind zu jedem Zeitpunkt eine wertvolle Hilfe, um zur Darmgesundheit beizutragen.
Das Mikrobiom, also die Bakteriengemeinschaft im Darm, beeinflusst nachhaltig die Gesundheit eines Menschen. Ein intaktes Mikrobiom steht in Zusammenhang mit einem aktiven Immunsystem und reduziert beispielsweise das Risiko, an Asthma zu erkranken, deutlich. Auch Übergewicht wird in Zusammenhang mit einem nicht voll funktionstüchtigen Mikrobiom gebracht. Gestillte Babys neigen nachweislich seltener zu Übergewicht, Diabetes Typ 2, sowie weiteren Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen. Die lebenden Komponenten in der Muttermilch und die ausschließlich in der Frauenmilch vorkommenden Humanmilch-Oligosaccharide (HMO) scheinen hier eine wirksame Schutzbarriere zu errichten, die Ihr Baby auch in seinem Erwachsenenleben noch nachhaltig stärkt.
Führende Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im Bereich der Probiotika (natürliche Milchsäurekulturen) haben untersucht, welche hilfreichen Schutzkulturen in der Muttermilch deutscher und österreichischer Mütter enthalten sind. Diese Untersuchungen haben ergeben, dass Laktobazillen in gut zwei Drittel (66 %) und Bifidobakterien in etwas mehr als einem Viertel (26 %) aller vorliegenden Muttermilch-Proben nachgewiesen werden konnten. Bei den sogenannten Laktobazillen konnten am häufigsten folgende Arten belegt werden:
- Lactobacillus salivarius,
- Lactobacillus fermentum und
- Lactobacillus gasseri.
Bei den seltener gefundenen Bifidobakterien wurde die Gruppe Bifidus breve am häufigsten gefunden.
Muttermilch schmeckt immer anders
Muttermilch wird aus Blut gebildet, nicht aus dem Inhalt Ihres Magens. Das bedeutet, dass klassische blähende Nahrungsmittel wie Zwiebeln, Kohl oder Hülsenfrüchte keineswegs automatisch zu Blähungen bei Ihrem Säugling führen müssen.
So weit, so gut, nicht wahr? Interessanterweise haben Muttermilchforschungen erwiesen, dass sich unterschiedliche Geschmacks- und Geruchskomponenten in der Muttermilch nachweisen lassen. Muttermilch schmeckt durch diese immer ein wenig anders. Manche Mütter bemerken sogar eine leichte Farbveränderung nach dem Verzehr von Spinat oder Roten Beten. Die abgepumpte Muttermilch erscheint dann leicht grünlich oder bläulich-rötlich.
Für Babys hat das einen großen Vorteil: Sie gewöhnen sich frühzeitig an unterschiedliche Geschmacks- und Geruchs-Nuancen. Gestillte Babys sind deshalb mit Beginn der Beikost-Phase oft besonders experimentierfreudig und testen sich gern durch die verschiedenen Bestandteile der ersten festen Kost.
Muttermilch hilft dem Tag-Nacht-Rhythmus
In den ersten Lebenstagen und -wochen verfügt Ihr Baby noch über keinen typischen Schlaf-Wach-Rhythmus, der mit dem eines Erwachsenen vergleichbar wäre. Muttermilch fungiert hier als kleine Orientierungshilfe für Ihren Liebling: Am Morgen steigt der Cortisolspiegel in der Milch an, abends dagegen wächst die Melatonin-Konzentration in der Muttermilch an. Cortisol hilft beim Wachwerden, Melatonin verstärkt die Müdigkeit. Beides zusammen wird unter anderem durch die Tageslichtqualität und unseren inneren chronobiologischen Rhythmus beeinflusst.
Muttermilch richtig gewinnen und lagern
Wenn Sie Muttermilch per Hand gewinnen oder abpumpen, sollte kein Tropfen danebengehen. Wird sie sachgerecht und unter hygienischen Bedingungen gelagert, ist Muttermilch sogar einige Zeit haltbar. Wenn Sie stillen und arbeiten oder anderweitig regelmäßig ohne Ihr Stillbaby unterwegs sind, ist die Lagerung von Muttermilch ein wichtiges Thema.
Aufbewahrung | optimal | akzeptabel |
bei Zimmertemperatur (16 bis 29 °C) | 3 bis 4 Stunden | 6 bis 8 Stunden |
im Kühlschrank (unter 4 °C, hinteres unteres Fach | 3 Tage | 5 bis 8 Tage |
im Tiefkühlfach (unter -18 °C) | 6 Monate | 1 Jahr |
Optimal bedeutet hier: Unter normalen hygienischen Bedingungen bei einem reif geborenen, gesunden und insgesamt fitten Baby.
Akzeptabel sind verlängerte Aufbewahrungszeiten unter hygienischen Gesichtspunkten nur dann, wenn besonders auf Hygiene Wert gelegt wird. Zudem muss das Abfüllen und die Aufbewahrung unter besonders sicheren Bedingungen stattfinden und es darf sich bei dem Baby weder um ein Frühchen, noch um ein Baby mit bekannten Erkrankungen handeln.
Wichtig: Besprechen Sie sich mit Ihrer behandelnden Kinderarztpraxis oder mit Ihrer Hebamme, wenn Ihr Kind frühgeboren ist oder anderweitige Gründe für eine besonders hygienische Aufbewahrung von Muttermilch sprechen. Unter Umständen ist es sinnvoller, die Zeiten zur Aufbewahrung zu reduzieren.
Muttermilch spenden
Für Frühchen und Neugeborene mit schwerwiegenden Erkrankungen ist Muttermilch nicht nur Nahrung – sondern Medizin! Nicht immer kann die Mama des Babys die benötigte Menge selbst abpumpen. Vor allem bei längeren Aufenthalten in der Neo-Intensivstation fällt es vielen Müttern schwer, neben den Besuchen beim Baby und dem anlaufenden Alltag zusätzlich regelmäßig Muttermilch in ausreichender Menge zu gewinnen.
Damit frühgeborene oder kranke Babys trotzdem optimal versorgt werden können, wurden Frauenmilchbanken eröffnet. Mamas mit reichlich Milch können nach strengen Gesundheitstests ihre abgepumpte Milch spenden, die dann an Babys in der angeschlossenen Klinik abgegeben werden kann.
Übrigens ist das Stillen von nicht-leiblichen Babys und Kleinkindern in vielen Kulturen üblich. Auch in Europa war es lange Zeit mittels Ammen üblich, dass Babys von anderen Frauen anstelle der leiblichen Mutter versorgt wurden